Um den Einfluss von Stress und anderen Faktoren auf den Schlaf beurteilen zu können, muss das übliche Schlafverhalten einer Person unter normalen Bedingungen bekannt sein, denn es bestehen grosse Unterschiede in der individuellen Dauer und Variabilität des Schlafs.
Erwachsene Personen schlafen durchschnittlich 7 bis 8 Stunden. Extreme Kurzschläfer sind nach 4 Stunden Schlaf erholt und Langschläfer benötigen täglich zehn oder mehr Stunden, um regeneriert und fit zu sein. Bereits im Säuglingsalter bestehen grosse interindividuelle Unterschiede in der Schlafdauer. In den ersten 3 Monaten nach der Geburt schlafen Säuglinge bis zu 16 Stunden pro Tag, und im Alter von zwei Jahren schläft ein Kind in der Regel noch etwa 12 Stunden. Danach liegt die mittlere Schlafdauer bis zur Pubertät bei 9-11 Stunden pro Tag und nimmt danach bis im Alter von 35 Jahren kontinuierlich ab.
Ab dem 35. Lebensjahr verändert sich der tägliche Schlafbedarf bis im Alter von 53 Jahren kaum. Anschliessend nimmt die mittlere subjektive Schlafdauer wieder leicht zu. Im Alter über 70 Jahren wird eine zunehmende Umverteilung des Schlafs über die 24 Stunden infolge von Tagesschlaf und unbemerktem Dösen beobachtet.
Praktisch jeder Mensch stellt vorübergehende Veränderungen des Schlafes fest, die durch ausserordentliche Belastungen, aufwühlende Ereignisse oder Stress ausgelöst werden. Sei es eine bevorstehende Prüfung oder ein Arztbesuch, ein körperlicher oder seelischer Schmerz, die Vorfreude auf Ferien, auf ein Fest, die Geburt eines Kindes, oder sei es ein unbedeutendes Ereignis am nächsten Tag: der Schlafbedarf und das Schlafverhalten reagieren auf die jeweilige emotionale Lage. So kann es für eine kurze oder längere Zeit zu einer spürbaren Abweichung vom gewohnten Schlafmuster kommen. Die meisten Leute reagieren auf einen Erregungszustand oder Stressor mit verkürztem Schlaf. Einige Personen stellen aber auch ein erhöhtes Schlafbedürfnis fest. Handelt es sich bei der emotionalen Erregung um eine Freude, einen Arbeitsrausch oder eine Verliebtheit, so werden selbst ausgeprägte Schlafveränderungen als kaum belastend empfunden.
Stimulations- oder erregungsabhängige Abweichungen von der üblichen Schlafdauer sind in der Bevölkerung weit verbreitet und führen häufig zu Klagen, obwohl sie meist vorübergehend und medizinisch harmlos sind. In der Regel verschwinden diese Schlafstörungen mit der Beseitigung des Stressors oder mit einer Gewöhnung (Anpassung) an neue Umstände. Erst wenn keine positive emotionale Anpassung stattfindet oder wenn über die Angst-Spirale mit dem Schlaf und Mechanismen der Konditionierung eine chronische Insomnie entsteht, sind spezifische Verhaltensmassnahmen und Therapien für Insomnie (KVT-I) angezeigt, um ein behinderndes Schlafproblem oder einen längeren Schlafmittelgebrauch zu vermeiden.
Neben vermindertem Schlafvermögen treten bei Stress und emotionaler Spannung weitere Symptome wie Gereiztheit, Ängstlichkeit, Müdigkeit, Lethargie und Lustlosigkeit auf. Hält eine Stresssituation länger an, können sich diese Symptome zu chronischen Stressfolgekrankheiten entwickeln. Fälschlicherweise glauben in dieser Situation viele, dass der gestörte Schlaf für die Tagessymptome, Erschöpfung und Defizite verantwortlich ist. Diese Annahme ist aber unheilvoll, denn wer dem Schlaf die Schuld am schlechten Tagesbefinden gibt, erhöht den Schlafstress und fördert eine komorbide chronische Schlafstörung. Zur Befreiung aus der Sackgasse hilft die Erkenntnis, dass es die belastende Gesamtsituation ist, die als übergeordnete Ursache die Tages- und Nachtbeschwerden antreibt.
Unser Wohlbefinden wird viel stärker durch die subjektive Schlafdauer und Schlafqualität beeinflusst als durch die effektive gemessene Schlafdauer. Förderlich für das subjektive Schlafempfinden ist ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, sowie das schnelle Vergessen der normalen kurzen Wachzeiten nachts. Erinnert man sich am Morgen an viele nächtliche Wahrnehmungen, Bewegungen und Gedanken, so entsteht der Eindruck eines schlechten Schlafs.
Falls die konsequente Einhaltung obiger Verhaltensempfehlungen nach wenigen Wochen keine Linderung bewirkt, und falls keine besondere Belastung oder Stresssituation besteht, so sollten organische und weitere Ursachen für die Schlafprobleme beim Hausarzt oder in einer Schlafsprechstunde abgeklärt werden.
Pflanzliche Heilmittel
Schlafhilfen auf pflanzlicher Basis sind bei Stress von längerer Dauer vorteilhaft, weil keine körperliche Abhängigkeit zu erwarten ist. Der Gebrauch von Schlafpräparaten jeglicher Art soll aber stets durch die gleichzeitige Einhaltung der oben aufgelisteten Verhaltenstipps begleitet sein.
Synthetische Medikamente
Der Gebrauch rezeptpflichtiger Schlafmittel sollte auf akute Stresssituationen mit absehbarem Ende beschränkt bleiben und die Dauer der Therapie ist bei fast allen klassischen Schlafmitteln auf 4 Wochen beschränkt. Nur die neusten Präparate (Quviviq, Lunivia) sind bei chronischer Schlaflosigkeit auch für eine längere Verwendung zugelassen. Um beim Absetzen eines Schlafmittels eine vorübergehend verkürzte Schlafdauer zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Dosis langsam und unter fachkundiger Begleitung zu reduzieren.
Der Griff zu Schlafmitteln als einzige Therapiestrategie fördert falsche Erwartungshaltungen und ungesundes Schlafverhalten. Dem Konsum von Schlafmitteln und Schlafhilfen jeglicher Art gehen in aller Regel verzweifelte Einschlafversuche voran. Die Erwartungshaltung und der Erfolgsdruck können sich unter Gebrauch von Schlafhilfen steigern und das gedankliche Loslassen erschweren. Häufiger und wechselnder Gebrauch von Substanzen und anderen Hilfsmittel zur Schlafoptimierung verhindern das Erlernen eines natürlichen und angstfreien Umgangs mit den üblichen dynamischen Veränderungen des Schlafes.
Um tagsüber wach und frisch zu sein ist nicht eine fixe Schlafdauer notwendig, denn je nach emotionaler Anspannung, Motivation und äusserer Stimulation kann der Schlafbedarf bei einer Person stark schwanken. Der Schlüssel zur Bewältigung dieser dynamischen Veränderungen besteht darin, natürliche Schwankungen des Schlafes zu kennen und zu akzeptieren. Man kann lernen, ohne Angst mit variablem Schlafbedarf umzugehen und seine Schlafstrategie und Bettzeiten der jeweiligen Situation anzupassen.
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